Herr Vollenweider, Sie wollen Depressiven den psychoaktiven Stoff Psilocybin geben?
Franz Xaver Vollenweider: Ja, wir wollen in einer Studie testen, ob der Wirkstoff Psilocybin als Medikament gegen Depressionen taugt. In den letzten Jahren sahen wir in Studien mit Gesunden, dass Psilocybin auf eine ganz spezielle Art die Emotionsverarbeitung verändert. Im positiven Sinn. Es fördert positive Reize und schwächt negative ab.
Der Stoff versetzt depressive Menschen in bessere Stimmung?Depressive Menschen werden vermehrt von negativen Gedanken und Gefühlen angezogen. Dabei ziehen sie sich oft zurück, sind in Negativspiralen gefangen. Das Psilocybin kann diese Negativspirale durchbrechen, indem es die Grenze zwischen dem Selbst und der Umwelt lockert, teilweise auflöst.
Klingt wirklich psychedelisch.
Depressive leiden oft an einer erhöhten Selbstzentriertheit. Das Psilocybin hilft, den Fokus auf sich selbst abzuschwächen, und begünstigt, dass man sich mehr mit der Umwelt verbindet. Man wird empathischer. Diese Wirkung ist interessant und neu. Klassische Antidepressiva machen einfach die Stimmung besser, stellen aber nicht diese Verbundenheit her.
Sie schreiben, es gebe Bedarf nach alternativen Behandlungen zu Antidepressiva.
Weltweit leiden circa 350 Millionen Menschen an Depressionen. Aktuelle Zahlen zeigen: Jeder Sechste in der Schweiz ist in seinem Leben einmal depressiv. Aber nur 30 bis 40 Prozent sprechen auf gängige Antidepressiva an.
Wie läuft ein begleiteter Trip ab?
Die Patienten müssen bestimmte Kriterien erfüllen und ansonsten gesund sein. Während zwei Wochen bereiten wir sie in mehreren Sitzungen unter anderem mit Entspannungsübungen vor. Danach kommen sie an einem bestimmten Tag um neun Uhr morgens in die Klinik. Legen sich hier nebenan auf ein Sofa, hören via Kopfhörer standardisierte Musik, damit alle gleich durch den Trip gehen.
Alle liegen da zusammen?
Nein, einzeln, stets von einer Fachperson begleitet. Wenn man die Kapsel schluckt, dauert es etwa eine Stunde, bis die volle Wirkung eintritt. Der Höhepunkt der Bewusstseinsveränderung dauert etwa eine bis eineinhalb Stunden. Dann flacht die Wirkung schnell ab. Nach sechs Stunden ist alles wieder verebbt. Wir wissen aus vielen Studien, dass die Leute dann das Bedürfnis haben zu erzählen, was sie erlebten.
Was erleben sie?
Gesunde beschreiben so einen Rausch zumeist als «fantastisch beglückend». Bei depressiven Patienten können aber wegen ihrer Leidensgeschichte auch negative Erinnerungen aufkommen. Es ist auch das Ziel, dass sie diese im geschützten Rahmen wiedererleben und neu bewerten.
Haben die Patienten Halluzinationen?
Nein. Sie können Pseudohalluzinationen haben, aber keine echten. Dafür ist die Dosis, die wir verabreichen, zu niedrig. Wir geben eine mittlere Dosis, etwa 15 bis 20 Milligramm. Hoch wäre ab 25. Ab dieser Dosierung können echte visuelle Sinnestäuschungen auftreten, das heisst, man sieht Dinge, die es gar nicht gibt. Aber das wollen wir gar nicht. Das ist wichtig. Wir schicken die Leute auf einen guten Trip.
Aber ein einziger Rausch ist doch nicht nachhaltig, oder? Antidepressiva muss man auch täglich einnehmen, und zum Psychotherapeuten geht man öfter.
Neuste, kleinere Studien aus den USA und England haben gezeigt, dass die Verbesserungen der Grundstimmung und Lebensqualität bis zu sechs Monate nach der Einnahme von ein bis zwei Dosen Psilocybin anhalten.
Das ist ja krass.
Die langfristige positive Wirkung ist auch für uns das Interessanteste. Was passiert im Hirn, wenn wir ein bis zwei Dosen geben können und die positive Stimmung so lange anhält? Das wollen wir in einer Doppelblind-Studie mit 60 depressiven Patienten, wobei 30 in der Kontrollgruppe sind und Placebos erhalten, untersuchen.
Aber alle denken, sie seien auf einem Trip?
Ja, und keiner der Teilnehmenden weiss, was er kriegt. Nicht einmal die Therapeuten wissen, wer ein Scheinmedikament bekommt. Viele Leute haben grosse Erwartungen. Auch Gesunde, die Pilze oder LSD nehmen. Bei Antidepressiva gibt es einen grossen Placebo-Effekt. Etwa 40 Prozent der Leute reagieren auf ein Scheinmedikament. Diesen Effekt müssen wir natürlich rausrechnen. Herkömmliche Antidepressiva haben oft Nebenwirkungen. Psilocybin kaum.
Gar keine?
30 Prozent der Gesunden hatten leichtes Kopfweh am nächsten Tag und waren ein bisschen müde. Sie fühlten sich zwar frisch, aber es ist doch ein emotional eindrückliches Erlebnis, das Energie braucht.
Muss man es als Studienleiter auch nehmen?
Es ist kein Muss. Man sieht es nicht gerne, wenn Therapeuten es selber schlucken. Aber es ist schwierig, sich vorzustellen, wie die Welt mit dem Stoff verändert sein kann.
Haben Sie es geschluckt?
Ich habe vor 20 Jahren bei einer Studie mitgemacht. Als wir noch nicht wussten, welche Dosierung wir geben sollten. Daher weiss ich, wie schwierig es ist, jemandem einen Psilocybin-Trip zu erklären. In dieser Forschung gibt es viele Therapeuten, die sagen, man müsse das selber verstehen. Das hat was. Ich habe das Bedürfnis nicht, dass ich in diesem Zustand sein muss, um den Patienten zu verstehen.
Warum wird es erst jetzt eingesetzt?
Wir Schweizer wollen erst wissen, ob es «verhebt». Deshalb machen wir weltweit die erste Doppelblindstudie mit einer Kontrollgruppe. Dies ist heute Standard für die Entwicklung eines Medikaments. Solche Studien sind sehr teuer und aufwendig. Wir mussten erst das Psilocybin nach bestimmten Richtlinien herstellen lassen, das macht es umso teurer.
Warum genau dieser psychedelische Stoff und nicht LSD oder Ketamin?
LSD ist unberechenbarer. Es kann auch bei einer mittleren Dosis ins Negative kippen. Psilocybin ist handhabbarer, gezielter und milder. Es wirkt im Peak nur ein bis eineinhalb Stunden, LSD vier bis fünf Stunden. Ketamin hat auch eine antidepressive Wirkung, sie hält aber nicht so lange an.
Wenn man Ihnen zuhört, klingt die Droge nach Wundermittel.
Es ist kein Wundermittel, sondern eine Alternative. Es wird nicht jeder darauf ansprechen. Hoffentlich aber jene, bei denen gängige Medikamente nicht wirken. Wir brauchen überzeugende Daten mit 500 bis 1000 getesteten Patienten.
Wann wird der medizinische Nutzen von Psilocybin kommerziell?
Das ist auch eine Geldfrage. Eine Registrierung kostet Millionen! Wir rechnen mit fünf Jahren. Mehrere Forschungsgruppen aus Europa sind daran, Daten zu sammeln. Wir sind hier Pioniere. Dass andere nun auch in diese Forschung einsteigen, zeigt, dass es Hand und Fuss hat.
Ist es schwierig, so eine Studie bewilligt zu bekommen?
Erst muss die Ethikkommission sie bewilligen. Die zweite Hürde ist die Swissmedic. Die dritte Hürde das Bundesamt für Gesundheit. Psylocybin, LSD oder Ayahuasca stehen unter dem Betäubungsmittelgesetz. Was seltsam ist, sie wirken nicht betäubend. Zum Forschen braucht man eine Sonderbewilligung, die haben wir – wir forschen seit 25 Jahren mit Psychedelika.
Ist schon mal etwas passiert?
Bis heute ist nie etwas Negatives passiert. Das erwarten wir auch nicht.
Haben Sie Bedenken bei der Wirkung?
In der Forschung ist Psilocybin gerade ein Hype. Immer mehr Mediziner entdecken die halluzinogenen Substanzen für die Medizin – allen voran für psychische Leiden. Man sollte solche Stoffe auf keinen Fall bei psychotisch Veranlagten anwenden. Bei unseren Dosen sind die Leute hellwach und immer orientiert. Wir wollen die Kontrolle lockern, aber nicht auflösen.
Man assoziiert vor allem Negatives mit Drogen.
LSD wird negativ bewertet, da mit der Hippie-Bewegung oft unkontrollierte Dosen eingenommen wurden. Psilocybin hatte nie so eine schlechte Konnotation. Es braucht aber Aufklärungsarbeit. Schon die Azteken haben es in Ritualen verwendet. In klassischen Psychiatrie-Medizinbüchern gehören Halluzinogene zu den Stoffen, die Psychosen und Halluzinationen auslösen. Das passiert erst bei hohen Dosen, bei mittleren stehen die Emotionsveränderungen im Vordergrund. Im kontrollierten Rahmen ist es auch ganz anders als auf der Gasse.
In «Die dunkle Seite des Mondes» von Martin Suter hat der Hauptcharakter wegen Magic Mushrooms Gewaltausbrüche.(Lacht) Ich war einmal bei Albert Hofmann, da ist Martin Suter aufgetaucht. Ich weiss wirklich nicht, wie er auf diese verrückte Idee gekommen ist. Logisch, kann man auch zu viel Psilocybin schlucken. Paracelsus sagte: Die Dosis macht die Wirkung.
Soll die Rauschdroge irgendwann frei erhältlich sein?
Nein, es soll ein Medikament werden. Es ist ein vielversprechender Therapieansatz. Die Kosten würden drastisch reduziert, wenn es diese Wirkung zeigen sollte.
Besteht keine Gefahr der Abhängigkeit?
Psilocybin verursacht keine körperliche Abhängigkeit. Wenn man es heute nimmt und morgen wieder, spürt man keine Wirkung mehr. Man wird ganz schnell tolerant.
Psilocybin und LSD soll man Ihrer Meinung nach nicht legalisieren. Was ist mit Marihuana?
Das ist eine ganz andere Klasse von Substanzen. Ich denke, dass eine Entkriminalisierung nötig wäre. Amerika war wieder einmal schneller und hat es uns vorgemacht, dass das geregelt werden kann. Nikotin und Alkohol verursachen volkswirtschaftlich immer noch viel grössere Kosten als die jungen Kiffer, die meistens ein paar Jahre kiffen und dann die Finger davon lassen. Ich unterscheide stark zwischen den einzelnen Drogen, und die Legalisierung oder medizinische Anwendung muss auch unterschiedlich geregelt werden.
Was ist Ihre grösste Sorge bei der Studie?
Ich bin gelassen. Wir haben sehr viel Erfahrung mit der Substanz. Ich befürchte eher, dass Fachleute zu wenig wissen. Dass viele auch nicht wissen, dass es nicht um den Trip, also den akuten Zustand, geht, sondern um den langfristigen.
Was ist das Schlimmste, was passieren könnte?
Dass wir keine Patienten finden (lacht).
Das Geld fehlt aber auch noch?
Der Grossteil der Studie ist vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert, das sind ein paar Hunderttausend Franken. Die Verkapselung des Psilocybin war aber unerwartet teuer, deswegen sammeln wir über eine Crowdfunding-Plattform noch 50'000 Franken.
Wann gehen die ersten Patienten auf einen Trip?
Wenn alles gut geht, im Dezember. Die Kapseln mit dem Psilocybin sollten jeden Moment aus England eintreffen.
Mithilfe eines Crowdfundings wollen die Zürcher Forscher um Franz X. Vollenweider weitere 50 000 Franken für die weltweit erste placebo-kontrollierte Studie mit Psilocybin sammeln. Mehr Informationen finden Sie hier.
Es gibt über 100 Pilzarten mit halluzinogenen Wirkstoffen. Die meisten enthalten den Wirkstoff Psilocybin. Der Schweizer Albert Hofmann, der Erfinder von LSD, isolierte und synthetisierte 1958 den Wirkstoff Psilocybin von den Magic Mushrooms. Insbesondere in Deutschland erforschte man die Wirkung der halluzinogenen Drogen. Doch bald darauf ging die Forschung wieder unter. Seither fällt Psilocybin unter das Betäubungsmittelgesetz, Handel und Konsum sind verboten. Für die Studie der Psychiatrischen Uniklinik Zürich und weiterer Unis in Europa synthetisiert eine englische Firma den Stoff. Psilocybin hat antidepressives Potenzial. Psilocybin ist dem Serotonin sehr ähnlich, jenem Botenstoff im Hirn, der unsere Stimmungen und Emotionen mitreguliert. In den USA wollen zwei Biotech-Firmen den Stoff pharmakologisch modifizieren und daraus noch bessere Eigenschaften generieren.
Es gibt über 100 Pilzarten mit halluzinogenen Wirkstoffen. Die meisten enthalten den Wirkstoff Psilocybin. Der Schweizer Albert Hofmann, der Erfinder von LSD, isolierte und synthetisierte 1958 den Wirkstoff Psilocybin von den Magic Mushrooms. Insbesondere in Deutschland erforschte man die Wirkung der halluzinogenen Drogen. Doch bald darauf ging die Forschung wieder unter. Seither fällt Psilocybin unter das Betäubungsmittelgesetz, Handel und Konsum sind verboten. Für die Studie der Psychiatrischen Uniklinik Zürich und weiterer Unis in Europa synthetisiert eine englische Firma den Stoff. Psilocybin hat antidepressives Potenzial. Psilocybin ist dem Serotonin sehr ähnlich, jenem Botenstoff im Hirn, der unsere Stimmungen und Emotionen mitreguliert. In den USA wollen zwei Biotech-Firmen den Stoff pharmakologisch modifizieren und daraus noch bessere Eigenschaften generieren.